Mit weniger glücklich und ruhiger

Elektrisiert war Moreen Chilla, als sie eines Abends in eine Netflix-Serie mit Aufräum-Ikone Marie Kondo reinzappte. Fasziniert schaute die Münderanerin zu, wie häusliche Umgebungen sich verwandelten und mit ihnen die Menschen darin. Einmal gepackt, ließ das Thema Ordnung schaffen sie nicht mehr los.

VON KATHARINA WEIßLING

„Ich habe meinen gesamten Besitz auf den Kopf gestellt“, sagt sie. Heute ist das Zuhause ihrer Familie nicht nur augenscheinlich aufgeräumt: Schublade für Schublade offenbart Ordnung. „Innen wie außen, außen wie innen“, zitiert Moreen Chilla einen bekannten Coaching-Satz und erzählt, dass dieses umfassende Aufräumen ihr persönlich innere Ruhe verschafft habe.

Buch für Buch fuchste sie sich rein in Themen wie Minimalismus und Ordnung. Kurz vor Ausbruch der Corona-Krise in Deutschland hatte sie in Oldenburg eine Ausbildung zum Aufräumcoach durchgezogen. „Erst da habe ich gemerkt, was mir zuvor gefehlt hatte.“ Von vielen, leicht erworbenen Dingen habe sie schlicht zu viel gehabt. Der schwer überschaubare Reichtum habe sie aber keineswegs glücklich gemacht. „Je mehr du hast, desto mehr musst du dich auch kümmern“, beschreibt sie, wie Sachen auch Raum im Kopf einnehmen können. Als Aufräumcoach zertifiziert und hoch motiviert, erwog die berufstätige Bankerin, was sie mit den neu erworbenen Fähigkeiten auch außerhalb der eigenen vier Wände anfangen würde. Die 39-Jährige ist so kommunikativ wie mitfühlend. Mit der Krise legte sie das Thema auf Eis, bewahrte sich aber den Sinn für Ordnung und profitiert bis heute davon. „In der Familie räumen wir routiniert, aber insgesamt weniger auf, das Putzen geht schneller und es fühlt sich gut an, auf diese Weise schön zu wohnen“, fasst Moreen Chilla zusammen. Jedes Ding hat seinen Platz. „Ich erzähle es unseren Kindern so, dass die Dinge ein Zuhause haben“, erklärt sie. Zum Beispiel, dass Jacken eben nicht auf dem Fußboden wohnen. Vor Geburtstagen und vor Weihnachten geht sie gemeinsam mit den Kindern deren Besitztümer durch. Zusammen schaffen sie Platz. Mit einfachen Fragen wie: ‚Spielst Du damit noch gerne damit oder würde sich ein anderes Kind darüber mehr freuen?‘ gehen sie Stück für Stück durch. Die beiden Kinder im Grundschulalter sortieren jetzt manchmal auch von sich aus Entbehrliches aus.

Dieser liebevolle Bezug zu Menschen wie Dingen zieht sich durch. Eine gewisse Feinfühligkeit ist in den vergangenen Monaten gewachsen. „Manchmal sage ich zu meinem Mann: Hörst du wie die Sachen im Keller nach dir rufen, die wollen aufgeräumt werden. Dann lacht er und sagt, stimmt“, schmunzelt die Münderanerin. Sie selbst kann es nicht mehr gut haben, wenn Dinge im Arbeitszimmer in Unordnung sind. „Das stört meine Konzentration“, bekennt sie.

Perfekt müssten die Dinge gar nicht ausschauen, eher geht es um Nutzbarkeit und Überblick. In wenigen Kisten sind die Pullover der Kinder so angeordnet, dass sie sofort erkennen, welche Muster darauf sind und entsprechend wählen können. Die Bettbezüge sind nicht gebügelt, aber rasch überschaubar in der Schublade. „Jeder Mensch hat ein anderes Empfinden für Ordnung. Und solange er sich wohlfühlt, gibt es keinen Handlungsbedarf. Sobald er daran leidet, ist es etwas anderes“, sagt Moreen Chilla. Um den Spaß am Prozess zu steigern, nahm sie selbst auf Instagram an Challenges teil. Zum Beispiel der Herausforderung, jeden Tag ein Teil auszusortieren. Mehr als 500 Teile in einem Jahr verließen so das Haus. „Dabei versuche ich so wenig wie möglich wegzuwerfen“, erklärt sie. Was gut ist, versucht sie genau einmal zu verkaufen, danach verschenke sie. Mit Glaubenssätzen wie: ‚Das ist doch noch gut; das ist von Oma Anna; das war teuer‘, hat sie sich intensiv auseinandergesetzt. Heute ist es so, dass sie die Dinge so besitzt, wie es ihr beliebt und nicht die Dinge sie im Griff haben.