Vom Glück des Verschlingens

Taschenbücher und Hardcover besitzt Anica Reinsch zu hunderten. Akkurat und dekorativ sind sie arrangiert auf den Regalen in ihrem Wohn- und Arbeitszimmer. Ihre Vorliebe gilt romantischen Romanen, auch Fantasy-Reihen. Mal müssen die Figuren mächtig leiden, bis Hoffnungen sich erfüllen, mal geht es heiter, dann wieder sehr düster zur Sache, wie im Bestseller 50 Shades of Grey.

VON KATHARINA WEIßLING

„Es ist gut, dass viele Bücher mit Trigger-Warnungen versehen sind“, sagt Reinsch. Sie mutet sich Themen bewusst zu oder eben auch nicht. 800 Seiten in zwei Tagen schafft sie locker – sofern es ihr gesundheitlich gut geht. Ihre Krankheit geht mit schweren Schüben und starken Kopfschmerzen einher, die Lesen unmöglich machen. „Darum nutze ich wenn möglich, den ganzen Tag. Außer am Wochenende.

Dann schaltet sie ab und mitunter den Fernseher an.

Ihre Mitbewohnerin, Mutter Ingeborg Reinsch ist froh, ihre Tochter ziemlich glücklich zu sehen mit dem Leben, dass sie sich aufgebaut hat. Sie ist diejenige, die ihre Tochter unterstützt, wo Hilfe vonnöten ist. Darüber hinaus hat die 73-Jährige ein Talent dafür, das Geld zusammenzuhalten in der Wohngemeinschaft, klug zu haushalten mit begrenzten Mitteln.

Neuerscheinungen in großer Zahl zu lesen kann da zum kostspieligen Hobby werden. Doch Anica Reinsch hat ihren Sturkopf, und nutzt ihn lieber für hilfreiche Lösungen als damit durch die Wand zu rennen. Seit drei Jahren betreibt sie zusammen mit einer ebenso lesebegeisterten Freundin aus Stuttgart den Facebook-Blog: ‚Leidenschaft des Lesens – Träumen is erlaubt‘. Beide beschreiben den Inhalt der Schmöker, die sie mit Freude und Spannung lesen und wie es ihnen selbst mit der Lektüre ergeht.

Das kreative Element: Offizielles Buchwerbematerial der Verlage zusammen mit frei verfügbaren Inhalten zu Videos oder Kollagen zu verarbeiten, die dann den Blog zieren. Den Autoren gefällt es, den inzwischen mehr als 1000 Followern des Blogs auch. Und obschon der Blog kein Geld in Form von Werbeeinnahmen generiert, wird die Mühe der beiden auf andere Art honoriert. Auf Anfrage erhalten sie kostenlose Leseexemplare. Und bekommen manchmal wiederum Feedback von den Autoren, die sich über ihre Rezensionen freuen.

Mit manchen kommuniziert Anica Reinsch inzwischen per Whatsapp. „Mir macht das Spaß, auch kleinen Autoren zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen“, sagt sie zum wachsenden Self-Publishing-Markt. Manchmal nutzten die dann sogar das von ihr erstellte oder verfeinerte Werbematerial weiter. „Ich frag immer vorher nach, ob ich das darf, umgekehrt genauso“, sagt Reinsch.

Gerade liest sie ein Buch, dessen Protagonisten Shapeshifter sind. Die Frau wird zur Löwin, der Mann zum Wolf. „Da liegt der Reiz darin, dass diese Dinge eigentlich nicht möglich sind“, sagt sie. Für Anica Reinsch ist Lesen nicht nur Zeitvertreib sondern eine sinnstiftende Angelegenheit. „Früher wusste ich mit mir nicht viel anzufangen, habe es auch nicht geschafft ein Erwerbsleben aufzubauen“, blickt sie zurück. Persönlich habe das viele Lesen sie offener gemacht, weit weg von unerfreulichen Erfahrungen in der Schul- und Ausbildungszeit, sagt sie. Die Kontakte zu Autoren und der großen Gemeinschaft gleichgesinnter LeserInnen sind solche, die sie selbst gesucht, gepflegt und aufgebaut hat. Was sie von sich preisgibt, bestimmt sie selbst.