Waldwissen und große Neugier

VON KATHRINA WEIßLING

Bad Münder. Sind die Menschen draußen mehr Zuhause denn je oder fühlen sie langsam Überdruss in punkto Wandern, Wald und Wiesen? Sarah Wegener zieht es immer wieder raus in die Natur. Die Erzieherin erlebt und vermittelt mit Freude, was da los ist im Großen wie im winzig Kleinen.

Mal ist es die Begegnung mit einem ausgewachsenen Rehbock, der ihr aus zwei Metern Entfernung Herzklopfen verursacht. Mal ist es die Faszination für das unbekannte, vielfältige Leben, das sich erst bei genauerem Hinsehen offenbart. Die winzige quietschgrüne Spinne unter der alten Rinde, die schöne Maserung einer so genannten Baumperle, ein kleiner Sprössling, bei dem sich nicht auf Anhieb erschließt, was er mal werden will.

„In einer Handvoll Waldboden stecken so viele Lebewesen, wie Menschen die Erde bevölkern“, betont die 36-Jährige gern. Mit kleinen Menschen ist sie bestens vertraut. Weiß, dass auch ihre eigenen Kinder draußen immer etwas Neues zu entdecken vermögen und dass jeder unterschiedlich tickt, spielt und lernt. „Da ist jeder Gang in die Natur ein reger Wissensaustausch“, sagt sie. Auf dem Weg freut ihre vierjährige Tochter sich erst über einen Zitronenfalter, dann über ein Tagpfauenauge. Ist es wirklich dieser Schmetterling oder ein anderer? Später entdeckt Bernadett einen lilafarbenen Käfer in einem alten Baumstumpf, ihr Bruder Jakob findet Molche, wo sonst keiner welche sieht.

Zwischen den Wurzeln einer Buche blüht zartweiß etwas Waldsauerklee. „Den kann man essen“, schlägt Jakob vor. „Man kann“, bestätigt Sarah Wegener, erst dann darf auch Bernadett vorsichtig kosten. Schön frisch und sauer schmecken die saftig grünen Blätter, grünen Äpfeln ähnlich sogar. Nur ein paar hundert Meter vom vielfrequentierten Parkplatz an der Bergschmiede entfernt, sind so viele Entdeckungen möglich, liegen Abenteuer nahe. Gerade angekommen und trocken über den Bach gesprungen, spannt Sarah Wegener ihre ultraleichte Hängematte zwischen zwei Bäumen auf. Bernadett schmeißt die Gummistiefel von sich und klettert rein; Jakob macht sich daran, aus Ästen am Boden ein „Shelter“ zu bauen, eine schützende Notunterkunft, die eine Person auch über Nacht warm und trocken halten würde.

Das Wissen um solche Tricks und Kniffe kommt nicht von ungefähr. Seit Jahren verbindet Sarah Wegener das, was sie von Haus aus als Erzieherin mitbringt, mit diesem ganz persönlichen Zug nach draußen. Mal unterrichtete sie eine Jahresgruppe naturneugieriger Mädchen im Wisentgehege, dann ging es raus mit dem Nabu-Nachwuchs, immer auf der Suche nach dem, was die Jahreszeit gerade bot. „Ich zelebriere die Kombination aus diesen ganzen Natursachen“, sagt die 36-Jährige. Auch ein Fernstudium der Natur- und Umweltpädagogik probierte sie aus. In Kürze nimmt sie eine einjährige Ausbildung zur Wildnispädagogin auf bei der Wildnisschule Wildniswissen in Hannover.

Mit beiden Kindern ist sie eher bei Schönwetter unterwegs, mit Jakob auch schon mal frühmorgens auf der Pirsch, um regungslos wahrzunehmen, was um sie herum geschieht. „Da laufen uns schon mal Mäuse über die Füße, aber auch so eine berührende Begegnung wie die mit dem Rehbock ist möglich“, sagt sie. „Ich könnte fünf Jahre lang jeden Tag in den Wald gehen und immer etwas lernen“, schildert sie ihre Perspektive. Tatsächlich hat sie dies kultiviert. „Nie war es so einfach, an Wissen zu kommen“, verweist sie auf fundierte Hilfsmittel im Netz, wie zum Beispiel die Flora Incognita-Pflanzenbestimmungsapp. Doch wer nicht fragt, darf auch keine Antworten erwarten. Darum geht Sarah Wegener mit offenen Sinnen vor die Tür. „Dabei nehme ich mir gezielt vor, jedes Mal fünf Fragen zu stellen“. Denen geht sie entweder direkt oder etwas später auf den Grund.

Essbares finden und verwerten, mit Feuerstahl und Stein ein Feuer entfachen, und die passenden Knoten knüpfen, damit die Hängematte nicht runterkracht, all das sind Fertigkeiten, die sie sich im Lauf der Zeit angeeignet hat. Auch abgeschaut von anderen Wildnisbegeisterten. „Die sind mal sehr martialisch, mal eher esoterisch unterwegs“, verweist sie auf die Vielfalt einer Szene, die von Bushcraft und Survival bis Schamanismus reicht. Ihre eigene tiefe Naturverbundenheit nähre in jedem Fall das Vertrauen in sich selbst und die Umgebung. „Das macht gerade jetzt viel Entspannung“, sagt sie. Ihre Jahresapotheke an Teesorten stellt sie selbst zusammen. Und wenn es darauf ankäme: „Würde ich auch ein paar Tage im Wald gut überleben“.