Aus Seenot gerettet

Es war ein paar Tage vor Heiligabend vor genau 65 Jahren, da sank vor der Hafeneinfahrt vom heutigen Klaipeda an der litauischen Kurischen Nehrung ein Hamburger Dampfer: Mit an Bord war der damals 16-jährige Werner Müller, der heute in Bennigsen lebt.

An die Erlebnisse von damals erinnert er sich noch gut.

Die „Hubert Schröder“ kam am 19. Dezember 1955 aus der Danziger Bucht und steuerte die Kuringische Nehrung mit seiner Hafenstadt, dem ehemals deutschen Memel, an. „Wir hatten unsere Ladung gelöscht und das Schiff ragte deshalb natürlich etwas aus dem Wasser“, erzählt Müller. Er hatte als Deckjunge auf dem Dampfer angeheuert, nachdem er mit 15 Jahren die Seemannsschule in Hamburg besucht hatte. Der Kapitän hatte neben einem Lotsen auch einen Schlepper bestellt.

Weil aber auch am späten Abend des 19. Dezembers 1955 von beiden nichts zu sehen war, ankerte die „Hubert Schröder“ rund zwei Seemeilen vor dem Hafen. Erst am nächsten Vormittag kam endlich der Lotse. Inzwischen war aber ein Sturm aufgekommen, und das Schiff trieb trotz erneuten Ankerwerfens gegen den Molenkopf und havarierte. „Wir Besatzungsmitglieder haben das Schiff bei Eis und Schnee über eine Strickleiter verlassen“, erzählt Müller. Die 30 Männer kletterten einer nach dem anderen auf ein Rettungsschiff, dass den sinkenden Dampfer wegen des hohen Wellengangs immer einmal umrunden musste, bevor die nächsten aufgenommen werden konnten, so Müller. „Wir haben Glück gehabt, dass alle gerettet werden konnten“.

Am frühen Abend des 20. Dezembers sank die „Hubert Schröder“ dann – 25 Meter tief. Die folgenden beiden Tage verbrachte der 16-jährige Müller in einer Kaserne in Memel. Besonders in Erinnerung ist ihm noch das russische Frühstück: „Für je zwei Mann gab es eine Flasche Wodka“, erinnert er sich. Er selbst habe davon keinen Tropfen angerührt. Pünktlich zum Weihnachtsfest aber konnten die Geretteten mit einem Schiff Richtung Deutschland zurück fahren und waren pünktlich zum Weihnachtsfest bei ihren Familien. Als Entschädigung bekam jedes Besatzungsmitglied 200 Mark von einer Versicherung. „Das war viel Geld damals“, so Müller. Und der erst 16-Jährige war keinesfalls so schockiert von der Havarie, als dass er nie wieder ein Schiff betreten hätte. Im Gegenteil: „Ich bin dann noch einige Jahre auf See gewesen“, erzählt er. Bereits Anfang 1956 heuerte er auf der „Helga Schröder“ an. „Mit dem Schiff waren wir oft in Ostasien unterwegs. Zu jener Zeit fuhren die Chinesen noch mit Dschunken auf dem Wasser“, berichtet der Weitgereiste.

Bis Vietnam kam Müller auf dem Seeweg. Und erinnert sich mit einigem Grausen: „Dort hingen geschlachtete Hunde, um verzehrt zu werden“. Und auch in Richtung Südamerika gingen die Schiffstouren. Eine Fahrt nach Venezuela im Jahr 1961 ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben. Bevor sein Schiff von Emden aus nach Curacao abfuhr, wollte er noch seine Verlobte und spätere Frau Hannelore treffen. Das wäre um ein Haar schief gegangen, weil er vergeblich auf einen Anruf wartete, sie aber bereits vor dem Schiff wartete und sich nicht an Bord traute. Nur dank eines hilfsbereiten Taxifahrers, der sie ermutigte, die Schiffstreppe hochzusteigen, konnten sich die beiden doch noch sehen – und haben ein paar Monate später geheiratet. Die Goldene Hochzeit hat das Paar übrigens auf dem Suezkanal gefeiert.

Bis zum Jahr 1962 war Werner Müller auf hoher See unterwegs. Nachdem er von Bord ging, arbeitete er viele Jahre für einen Kofferhersteller, erst in Empelde, später dann in Eldagsen.

Und kehrte als Rentner noch einmal zur Seefahrt zurück- „Ich habe acht Jahre lang in Hamburg ein Museumsschiff restauriert“, sagt der Familienvater und -opa , der seit vielen Jahren in Bennigsen lebt.