Gehegt und gepflegt

Früher einmal muss es möglich gewesen sein, auf der Stadtmauer rings um den Kern des Ortes zu spazieren.

Ob es legal möglich war, ist eine andere Frage. „Selbst die Uroma mahnte nicht selten ‚Kinder, die alte Mauer wollten wir eigentlich erhalten‘, wenn sie besonders arg darauf tobten“, erzählt Helga Hahne. Sie nennt bis heute einen Teil der Stadtmauer ihr eigen. Beziehungsweise soll es das einzig erhaltene Stück Stadtmauer sein, dass komplett von Privatgrund umgeben ist.

Auf der einen Seite befinden sich Wohnhaus, Terrasse, Garagen auf der anderen eine Streuobstwiese, auf der mit dem Herbstlaub gerade reichlich Äpfel und Walnüsse fallen. Helga Hahne kennt das Leben um die Steine herum seit den späten 1950er Jahren. „1959 bin ich hier eingezogen. Dieser Widder hier war ein warmes Willkommensgeschenk meiner Schwiegereltern, der Löwe hier steht für meinen Mann, sagt sie mit Blick auf zwei Steinfiguren links und rechts einer Sandsteinbank, die sich scheinbar anschmiegt an die Mauer. Ein paar Schritte nach links zeugt eine Ausbuchtung noch von ganz anderen Zeiten. „Von der Schießscharte aus soll ein Vorfahre meines Mannes mal geschossen haben, aber so genau weiß das natürlich keiner mehr„ ,sagt Helga Hahne über den Ort im Garten, der immer wieder zu überwuchern droht. Urahn Pippin der Kleine hin oder her.

Mal befreit ein Gärtner die Mauer von Ranken, immer wieder wurden Fugen mit Zement ausgebessert. Zur Zeit halten Efeu, Löwenzahn und weitere Gewächse sich fest in den Ritzen der alten Stadtmauer, während mancher Steine oben recht locker aufliegt. Der Baum neben der Mauer trägt noch Brandspuren von einem unglücklichen Versuch, vor ein paar Jahren Brennnesseln abzuflämmen. Die Mauer steht unbeschadet wie eh und je.

Rund einen Kilometer lang soll die Stadtmauer mal lang gewesen sein und an einigen Stellen stattliche sieben Meter hoch. Eine Verbindung von Adelshof zu Adelshof, erbaut um 1300, wie auf einer Tafel am wohl bekanntesten Teil der Mauer, am Steinhof, zu lesen ist. An einem Stück an der Neuen Straße soll mal ein kleines Gefängnis gewesen sein. Noch heute schmiegt sich dort ein Fachwerkhaus an das geschichtsträchtige Mauerwerk.

An der Sparkasse war ein Teilstück nach Fertigstellung eines Anbaus 1999 aufwendig saniert worden. Auch im Bereich Steinhof wurde aufwendig wieder ausgebessert. Gefördert mit Mitteln der Europäischen Union. Der weitere Verlauf vom Grundstück der Hahnes aus lässt sich nur noch erahnen. Moderne Mehrfamilienhäuser stehen an Ort und Stelle. Viele weitere Teilstücke gerieten über Jahrzehnte so in Vergessenheit, dass sie per Zufall wiederentdeckt, untersucht und dokumentiert wurden. Zum Beispiel, als sich das Aufstellen eines Spielgerätes auf dem ehemaligen Grundschulhof an der Kellerstraße als knifflig erwies, weil der Boden mit den enthaltenen Grundfesten partout nicht nachgeben wollte.

Helga Hahne liebt den idyllischen Ort in ihrem naturnahen Garten. Einst boten die Mauern Schutz, später trugen sie Generationen spielender Kinder. Und weil die Ahnen das Stück so „hegten und pflegten“, muss heute noch so mancher hübsche Flieder dran glauben, bevor er allzu tiefe Wurzeln schlägt.