Nikolausgeschichten aus Gebäck

Die ersten Spekulatius im Supermarktregal verweisen so sicher auf den meteorologischen Herbstbeginn, wie das Amen auf die Kirche.

Karl-Friedrich Licht, Bäckermeister im Ruhestand aus Bad Münder, läuft nahezu täglich an Formen vorbei, die von anderen Zeiten zeugen. Solchen, als die süß-knackigen Kekse in Bildern Geschichten vor allem vom heiligen Nikolaus, den Niederlanden und dem Niederrhein erzählten.

„Die hier sind noch von meinem Großvater, und die beiden hier habe ich mal bei der Bäckergenossenschaft in Hannover rumliegen sehen und günstig erstanden“, sagt Licht mit Blick auf pittoreske Bretter an der Wand. Dass es sich jeweils um Arbeitsgeräte handelte, lässt sich nachvollziehen. „Das Holz ist hart, die Bretter mehrere Zentimeter dick, die Ecken abgenutzt.“

Selbst professionell damit gearbeitet hat Licht niemals. „Und persönlich rate ich davon ab, sich die Mühe zu machen“, sagt der Münderaner, der zwar gern noch Mohnstollen bäckt und mit seinen Enkelkindern auch mal Kekse, niemals aber Spekulatius. „Der Teig braucht eine bestimmte Konsistenz, damit er sich gut aus den Formen löst, und die Handarbeit macht sich letztlich nicht bezahlt“, sagt er.

„Ist der Teig einmal hineingepresst, muss man Zwirn oder Draht über die Bretter ziehen, um die Spekulatius sauber abzutrennen“, erklärt er. „Dann wurden die Bretter auf den Backtisch geschlagen, um den rohen Teig aus den Formen zu lösen.“ Ein einziges Mal habe er das gemacht, noch als Junge mit seinem Vater. Dann ließen beide Generationen die Finger von der lärmenden Angelegenheit.

Später kamen Handkurbelmaschinen mit Förderband auf, die die Sache erleichterten. „Aber damit kam ich nicht so gut klar, dass ich investiert hätte“, erinnert sich Licht. Die Vorführmaschine mit der hübschen Walze ging zurück. Ihre Vorgänger, die mühsam ins Holz geschnitzten Gestalten und ihre Geschichten durften bleiben. Manche bekamen mit der Zeit auch mal Holzwurmbesuch.

Noch heute wird spekuliert, ob der Name der Knusperkekse auf den heiligen Nikolaus verweist, der als Bischof auch den Beinamem „speculator“ (Beobachter) trug. Oder ob der spiegelverkehrte Druck („speculum“ = Spiegel“) namensgebend war. Klassischerweise stellen die Schnitzereien die Legende des heiligen Nikolaus dar. Doch zu den Seefahrts-, Reitermotiven kamen schnell auch Windmühlen und weitere Einfälle der Schnitzer. Denn was die Spekulatius einst so besonders machte, waren der feine Zucker und die Gewürze, die von weither eingeschifft wurden.

Neben den Gebäck gewordenen Geschichten verbreiteten Zimt, Kardamom und Nelken den Duft entfernter Welten. Waren Spekulatius schon im 15. Jahrhundert bekannt, erhielten sie mit dem Ostasienhandel der Holländer erst ihren würzigen Geschmack. Die Schnitzereien dagegen schrieben ihre eigenen Geschichten, gerne auch lokale. Im Rheinland zieren oft Trauben alte Holzmodelle. Wie fein oder derb geschnitzt wurde und aus welchem Material, zeigt an, wofür die Bretter bearbeitet wurden und wie kunstfertig.

Eines der Bretter von Karl-Friedrich Licht ist nicht nur besonders dick, sondern auch von beiden Seiten ausgestochen. Umso mehr Plätzchen ließen sich daraus machen. „Heute sind die Walzen sogar beheizt“, sagt Licht. Nicht umsonst rangiert das einstmals edle „Nikolaus-Gebildgebäck“ nach Lebkuchen auf Rang zwei des deutschen „Herbstgebäcks“, wie die deutsche Süßwarenindustrie das nennt, was nach dem Sommer auf unseren Hüften landet.