Ziffern, Buchstaben und Spiele

VON KATHARINA WEIßLING

Bad Münder. Als Krankenschwester ist Daniela Richter Kummer gewohnt. Als ihr eigenes Kind im Laufe der Grundschule mit immer mehr körperlichen Symptomen Kummer signalisierte, kam sie damit schlecht klar. In der dritten Klasse wurde nahegelegt, ihr Sohn möge die Klasse wiederholen. Daniela Richter fiel aus allen Wolken.

So sehr ihr Grundschulkind sich auch bemühte, es wollte nicht so recht klappen mit den Buchstaben. Kurz darauf stand die Diagnose: Legasthenie. Eine ausgeprägte Lese-Rechtschreibschwäche hatte sich festgesetzt; schon zu deutlicher Schulunlust geführt. Für manche Lehrkräfte kam das rückblickend wenig überraschend. Für die Familie begann erst jetzt ein großer Veränderungsprozess.

„Eltern bekommen vieles nicht mit“, sagt Daniela Richter heute. Doch statt den Kopf in den Sand zu stecken, lenkte die voll Berufstätige ihre Energie fortan in andere Bahnen. Sie machte sich kundig, suchte und fand schließlich eine Legasthenie-Trainerin für ihr Kind und kniete sich abends in ein Fernstudium. Inzwischen ist die 42-Jährige selbst diplomierte Legasthenie- und Dyskalkulietrainerin.

Die Ausbildung erhielt sie vom Ersten Österreichischen Dachverband Legasthenie (EÖDL), der seit 20 Jahren mit diesem Thema befasst ist. Ihr Sohn konnte in der Klasse bleiben und erproben, wie es klappt mit leicht veränderten Spielregeln. Mehr Zeit zum Beispiel. Außerhalb der Schule findet er mithilfe seiner Trainerin zunehmend wieder heraus, wie Lernen und Freude Hand in Hand gehen können.

Dafür fahren Mutter und Sohn etwa einmal die Woche bis nach Soltau. „So viele Trainer gibt es gar nicht“, sagt Daniela Richter dazu und weiß auch, welcher Aufwand dahinter steht, außerschulisches Training zu organisieren - zeitlich wie monetär. „Krankenkassen fühlen sich nicht zuständig. Eltern gehen in Vorleistung, Jugendämter helfen aus, manchmal erst nach gerichtlicher Aufforderung“, fasst sie zusammen. Und Daniela Richter weiß aus eigener Erfahrung, dass Eltern und Kinder nicht immer die besten Lerngespanne sind. „Erst einmal geht es darum anzuerkennen, dass die Dinge stehen, wie sie stehen“. Das bedeute im Zweifelsfall auch mal zu loben, wenn ein Kind mit einer Vier nach Hause kommt (es hätte ja auch eine Fünf werden können) oder zu verstehen, dass vermeintlich Einfaches nicht auf Anhieb in den Kopf will, schon gar nicht mit Gebrüll.

Daniela Richter hat sich bewusst entschieden, als Trainerin nicht noch ein Termin im übervollen Wochenkalender zu werden. „Keiner muss hetzen, ich fahre ganz bewusst raus zu den Familien mit meinem Buchstaben- und Zahlenkoffer“, sagt sie. Ihre Stunden als Krankenschwester hat sie inzwischen reduziert. Dass ihr Lernwerkzeug farbenfroh in liebevoll selbst genähter Verpackung daherkommt, passt zu ihrem persönlichen Anspruch, Freude mitzubringen. Neben Büchern und Arbeitsblättern, führt sie magnetische Zahlen und Buchstaben mit sich. Jede Stunde beginnt mit einem einfachen Konzentrationsspiel. Was folgt, ist individuell zugeschnitten auf die besonderen Herausforderungen jedes einzelnen Kindes. Und sei es, dass ein einzelner Lehrer partout kein Druckschrift „e“ akzeptiert, sondern auf geschwungenen Bögen besteht. Ausnahmen ausgeschlossen.

„Die Welt lässt sich nicht ändern, wohl aber die eigene Haltung dazu“, sagt Richter. So nimmt es kaum Wunder, dass sie Familien empfiehlt: „Spielt mehr Mensch-ärger-Dich-nicht, und zwar so, dass die Kinder nicht immer gewinnen“. Mit Niederlagen klarkommen, auch darum geht es in ihrem Training.

Fünfe gerade sein lassen, dass hat auch Daniela Richter in den vergangenen Monaten gelernt. Wenn sie abends über dem PC brütete, konnte sie sich darauf verlassen, dass die Heinzelmännchen zuvor einen guten Teil des Haushalts geschmissen hatten, um sie zu entlasten. „Meine Männer haben das super gemacht“, sagt sie stolz. Und anders als im Märchen empfindet sie echte Dankbarkeit angesichts dieser herausragenden Leistung.