Olivias Schwarze Witwe

Springe. „Ich bin eine heterosexuelle Frau im Körper eines Mannes und mache das Beste daraus“ – so umschrieb sich Veuve Noir alias Henrik Schmidt als Gastdozentin beim Kirchenkreisjugendkonvent (KKJK) im St.-Andreas-Gemeindehaus.

Stets auf der Suche nach Themen für ihr vierteljährliches Treffen gelang es den KKJK-Mitgliedern zum Thema „Queere Vielfalt – Respekt und Toleranz“ die Travestie-Künstlerin für einen Vortrag zu gewinnen. Und die machte im wahrsten Sinne des Wortes eine gute Figur, mit der sie auch hin und wieder kokettierte, ohne anzüglich zu wirken. Die 35-Jährige gehört zur Olivia Jones-Familie, die sich bundesweit mit dem Projekt „Olivia macht Schule“ für ein offenes und tolerantes Miteinander einsetzt.

Die Travestie-Künstlerin präsentierte ihre eigene Geschichte von der Kindheit bis zum heutigen Ich. Die eigene sexuelle Orientierung erkennen und sie auch zu akzeptieren sei die Grundvoraussetzung. Viele Höhen und Tiefen habe sie durchlebt, wobei das „schwul“ als diskriminierendes Schimpfwort noch das Geringste war. Sie selbst bezeichnet sich als „Genderbread Person“, die sowohl männliche als auch weibliche Sexualmerkmale aufweist.

Am Anfang steht die Frage: Was oder wer prägt uns? Ist es das eigene Elternhaus, das Umfeld sowie die Autoritäten während der Schulzeit oder des Berufslebens oder gar der Glaube beziehungsweise die Religion? Veuve Noir ging auf die Geschichte der Homophobie ein, die mit Verfolgung und Hinrichtung bis zurück in die Anfänge des Christentums reicht: 1869 wurde im deutschen Kaiserreich eine „Rosa Liste“ geführt mit Namen der als schwul eingestuften Bürger. 1871 wurde der Paragraf 175 eingeführt, den die Nationalsozialisten im Reichgesetzbuch verschärften. 1969 und 1973 wurde der Paragraf zweimal reformiert, ehe er 1994 gänzlich aufgehoben wurde.

Veuve Noir sieht sich in ihrer Entwicklung als Prellball eines gescheiterten Elternhauses. Depressionen, Therapien und ein lebensbedrohlicher Zeitpunkt begleiteten sie in der Jugendzeit. Bei der Musterung zum Wehrdienst bekannte sich die heute 35-Jährige zu ihrer Homosexualität – und wurde von den Ärzten als wehruntauglich ausgemustert. Das war für sie der Zeitpunkt, ab dem sie sich auch öffentlich zu ihrer sexuellen Orientierung bekannte.

Die etwa 45 jungen Teilnehmer beim KKJK hingen der Travestie-Künstlerin förmlich an den Lippen, denn selten wird so offen über das „Anderssein“ gesprochen – außer Olivia Jones bei ihren medienwirksamen Auftritten. „Wir warten nicht bis jemand kommt und uns fragt“, sagte Veuve Noir. „Wir, von der Olivia-Jones-Familie ergreifen die Initiative und gehen mit dem Thema an die Öffentlichkeit und klammern auch Schulen und Kitas nicht aus.“ Ziel sei es, Diskriminierung und Schubladendenken abzubauen, Toleranz durch Akzeptanz zu schaffen und Hilfestellung bei Mobbing und Ausgrenzung gegenüber Andersdenkenden zu leisten.