Erinnerung an den Schrecken

VON ANNE BRINKMANN-THIES

Alvesrode. Die sogenannten stillen Tage im November sind für viele Menschen eine Zeit des Erinnerns und Innehaltens. Zum Volkstrauertag am vergangenen Sonntag gab es in allen Springer Ortsteilen Gedenkfeier für die Kriegstoten und Opfer der Gewaltbereitschaft und Gewaltherrschaft aller Nationen, so auch in Alvesrode.

Ortsbürgermeister Dieter Gonschorek hat aber schon wenige Tage vor dem bundesweiten Gedenktag Blumengestecke auf dem Englischen Friedhof in Hannover-Ahlem niedergelegt. Und damit zweier englischer Soldaten gedacht, die während des Zweiten Weltkriegs bei Alvesrode ihr Leben verloren.

Samuel Cook und Arthur Charles Clark waren beide 27 Jahre alt: Die beiden jungen Männer sind am 5. Januar 1945 ums Leben gekommen, als ihr Flugzeug auf den Hallerwiesen abstürzte. Sie gehörten zur Besatzung eines Bomberflugzeugs, das über Hannover abgeschossen wurde. Sie waren in ihren engen Bordschützen-Kabinen angeschnallt und konnten das taumelnde Flugzeug nicht verlassen – anders als die anderen Besatzungsmitglieder, die das abstürzende Flugzeug per Fallschirm verlassen konnten.

Einer, der den Absturz mit eigenen Augen gesehen hat, ist Manfred Hinze: Er war 14 Jahre alt, als in der Nacht auf den 6. Januar 1945 ein brennender viermotoriger Bomber zunächst drei Mal über Alvesrode kreiste, bevor er schließlich nahe der Sauparkmauer abstürzte. Die Toten seien aus dem zerborstenen Rumpf herausgezogen worden, der auf der nassen Wiese rasch voller Wasser gelaufen sei, erinnert sich der Alvesröder. Die sieben anderen Besatzungsmitglieder seien mit Fallschirmen abgesprungen.

Möglichst viele Informationen über die beiden abgeschossenen Männer hat Dieter Gonschorek versucht zusammenzutragen. „Bei den Recherchen hat mich ein Mitarbeiter vom Flughafen Hannover maßgeblich unterstützt“ so der Ortsbürgermeister.

So hat er neben den Namen und dem Alter auch den Flugzeugtyp herausbekommen – und erfahren, dass die beiden Soldaten auf dem „War Cemetery“ in Hannover begraben liegen. Auch Kontakt mit den Familien hätte Gonschorek sehr gerne aufgenommen. Doch bislang gelang das nicht – trotz tatkräftiger Unterstützung des Engländers Tim Daniels, der in Alvesrode wohnt. Als sich der Absturztag 2015 schließlich zum 70. Mal jährte, widmete Gonschorek einen Teil seiner Rede zum Volkstrauertag den jungen englischen Soldaten, deren Gräber er seitdem auf dem Hannover War Cemetery alljährlich besucht – als Zeichen der Trauer und der Versöhnung, wie er erklärt.

Und sich erinnert: Er habe bei diesem ersten Besuch noch ein ganz eigentümliches Erlebnis gehabt. Er habe nicht gewusst, wo die Engländer auf dem riesigen Gräberfeld bestattet liegen, wo ein Grabstein dem anderen gleicht.

Er sei eine kleine Weile dort herumgelaufen und wollte schon nach Hause, um noch einmal neu zu recherchieren. „Auf einmal habe ich vor den beiden Gräbern gestanden, fast als hätten sie Alvesrode gerufen“, erinnert sich Gonschorek noch lebhaft an dieses Erlebnis. Womöglich sei er überhaupt der erste Besucher in all den vielen Jahren gewesen, so der Ortsbürgermeister nachdenklich.

Auch aus Alvesrode gab es viele Opfer zu beklagen, verstreut über ganz Europa, weiß der Ortsbürgermeister. „Hier in Alvesrode sind um 1944 herum sechs Männer getötet worden“, erinnerte Gonschorek in seiner Gedenkrede am vergangenen Volkstrauertag an diese Menschen. „Wir wissen nicht wo – und wir wissen nicht wann“. Und er wünscht sich, dass auch an ihren Gräbern getrauert und an Versöhnung gedacht wird. Wie in den anderen Springer Ortsteilen auch, erinnern die Namen auf Ehrenmäler an die Getöteten aus den beiden Weltkriegen.

Als sich Manfred Hinze jetzt noch einmal an den Flugzeugabsturz vor fast 75 Jahren erinnerte, da fiel ihm noch etwas ein, worüber sich bei all dem Schrecken und Leid wohl schmunzeln lässt. Er und seine Kumpel hätten aus dem Wrack eine Leuchtpistole herausgeholt, Die Schussvorrichtung war verbogen und funktionierte nicht mehr. Die Jugendlichen steckten stattdessen Streichhölzer in den Lauf, legten die Pistole auf ein Holzstück und zündeten sie an. „Halb Alvesrode war rot beleuchtet“, erzählt Hinze. Und die Jungs hätten mächtig Fersengeld gegeben, um für diesen Streich nicht erwischt zu werden.