Ein alter Apfelbaum in Böbber erregt die Gemüter

Knorrig und durchaus schief steht er da, am Straßenrand bei Böbber. Ein alter Apfelbaum mit etwa 100 Jahren auf dem Buckel. Appetitliche Ernte ist von ihm schon lange nicht mehr zu erwarten. Aber dass ausgerechnet er plötzlich einen neongrünen Punkt trägt, entsetzt Naturschützer.

So sehr, dass sie ihm diese Woche ein Band um den Stamm gewickelt haben, versehen mit einem Nabu-Flyer mit Aufschrift „Fällen verboten“ und einer Rückrufbitte. Auf dass derjenige, der beauftragt ist, den Baum zu fällen, mindestens stutzen möge.

„Dieser Baum mit seinem Totholz ist für die Insektenwelt und die Artenvielfalt wahrscheinlich mehr wert als alle anderen Bäume dieser Allee“, erklärt Naturschützer Michael Meier aus Böbber. Er ist Beisitzer und Beauftragter für Waldnaturschutz des Heimatbundes Niedersachsen.

Inzwischen ist die akute Gefahr offenbar gebannt. Eine Mail an Bürgermeister Hartmut Büttner und ein Baumbesuch von Bastian Schulz, bei der Stadt Bad Münder zuständig für Umwelt- und Naturschutz, haben für Aufschub gesorgt, zumindest für ein erneutes Abwägen. Nun gilt es, herauszufinden und zu erörtern, was genau den so unscheinbaren Baum so wertvoll macht und was andererseits die Stadt antreibt, ihm mit der Motorsäge ans Holz gehen zu wollen.

Löcher weist er auf. Mal trockenere, mal mulmige. Unten am Stamm hat er eine Macke – wahrscheinlich eine Narbe vom Grasmähen um ihn herum. Doch gerade das mag paradoxerweise seinen Wert für die Welt der Insekten um ihn herum noch gesteigert haben. „Außerdem nimmt der Artenreichtum mit dem Alter eines Baumes zu“, betont Meier. In Exemplaren wie diesem hätten Forscher schon bis zu 200 verschiedene Insektenarten gefunden. „So betrachtet sind Bäume wie dieser die wertvollsten, die wir haben“, lautet sein Fazit. Und damit steht er keineswegs alleine das: „Insgesamt ist ein Fünftel aller Tier- und Pflanzenarten auf Totholz angewiesen, das sind rund 6000 bisher unbekannte Spezies“, schreibt Peter Wohlleben in seinem Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“.

Mit den benachbarten lebenden Bäumen wüssten solche Lebewesen gar nichts anzufangen, da sie den Zucker darin nicht verstoffwechseln könnten. Umso mehr brauchen sie totes Holz in erreichbarer Entfernung.

Doch da wird es für manche Arten schon jetzt knapp. „Ein Eremit schafft 500 Meter, dann ist Schluss“, nennt Meier ein Beispiel. Folglich brauche es ganze Netzwerke solcher Habitatbäume, um das Überleben dieser Arten zu sichern. Netzwerke? Für genau so etwas gibt es Baumkataster in denen Pflegemaßnahmen nachgehalten werden und auch besonders schützenswerte Exemplare herausstechen.

„Als Verwaltung stehen wir hier noch am Anfang einer Entwicklung“, bekennt Bürgermeister Hartmut Büttner bezogen auf den Apfelbaum als exemplarisches Beispiel. „Die Sensibilität für solche Dinge wird steigen, muss wachsen“, sagt er. Das aktuelle Baumsterben, dass gerade erst sichtbar werde, fordere auch die Verwaltung heraus.

Der Mitarbeiter des Bauamtes, der den Baum angezeichnet hatte, habe aus einem anderen Interesse gehandelt, nämlich der Verkehrssicherungspflicht. „Dabei ist die Studienlage gerade so, dass solche Bäume besser stehen, als wir oft meinen“, sagt Michael Meier dazu und empört sich, dass manches relativ leicht zugängliche Wissen bislang an den Stadtmitarbeitern vorüberziehe.

„Es gibt hervorragende Fortbildungen der Niedersächsischen Naturschutzakademie in Visselhövede und ich frage mich, warum aus Bad Münder keiner den Weg dahin findet“, wundert er sich. Außerdem auf seiner Wunschliste: Ein gut gepflegtes Baumkataster, in dem solche versteckten Schätze wie der knorrige Apfelbaum eingetragen werden und sofort als schützenswert erkennbar sind.