Ein Kämpfer für das Klima

VON ANNE BRINKMANN-THIES

Bennigsen. Akribisch zählt Werner Müller die Züge, die täglich durch Bennigsen rollen: momentan rund 80 Personen- und 120 Güterzüge. „Bei jeder Durchfahrt wird die Bahnschranke für zwei bis drei Minuten geschlossen“, sagt Müller. Das allein stört ihn nicht. Wohl aber jene Fahrer, die beim Warten ihren Motor nicht ausstellen. „Bei jeder Schließung halten etwa vier Autos mit laufendem Motor auf jeder Seite, das sind in 24 Stunden 1600 Autos“, rechnet der 80-Jährige aus.

Bei Maßnahmen für den Klimaschutz und mit Blick auf den Klimaschutztag in Springe vor wenigen Wochen sieht Müller genau hier einen Ansatzpunkt. „Jeder kann und soll doch erst einmal vor seiner eigenen Haustür kehren“, findet der Rentner. Und auch kleine Bausteine, die jeder Einzelne mit Leichtigkeit durchführen können, bewirkten schließlich schon eine Reduzierung von Emissionen. Mit dem Laufenlassen des Motors verstießen die Auto- und LKW-Fahrer im übrigen auch gegen die Straßenverkehrsordnung, so Müller. Und er wünscht sich, dass die Polizei, die direkt neben den Bahnschranken ihre Station hat, öfter in Zivil kontrolliert.

Müller hat die Problematik an der Landesstraße 460 in Bennigsen auch schon Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies zu Gehör gebracht, als der bei einer „Fridays for Future“-Demo mit Schülern sprach. Eine Antwort habe er aber bislang nicht bekommen, sagt der Bennigser. Gerne hätte er im übrigen auch den Springer Klimaschutztag genutzt, um die Besucher auf die laufenden Motoren vor geschlossenen Bahnschranken aufmerksam zu machen. Doch er sei nicht zum Zuge gekommen, bedauert er. Sein Engagement für den Klimaschutz sei erst in den letzten Jahren so richtig gewachsen, berichtet Müller. Einen echten Auslöser kann er nicht ausmachen.

Vielleicht ist es aber auch die Verbundenheit mit der Natur im Allgemeinen und mit dem Meer im Besonderen, das den Bennigser für den Klimaschutz auf die Beine bringt. Denn Werner Müller ist ein einstiger Seemann. Schon im zarten Alter hat er angefangen, die Weltmeere zu befahren. Von 1954 bis 1955 besuchte der damals 15-Jährige die Seemannschule in Hamburg. Dann begann sein Leben auf hoher See. Das erste Schiff, auf dem er anheuerte, hieß „Hubert Schröder“, wurde von der AG Weser als „Atika“ gebaut – im Jahr 1923.

Die Premiere auf hoher See begann für Müller mit akuter Seekrankheit auf der Nordsee. Er erlebte auf dem Schiff Riesenhitze in Afrika, für die der Kapitän Tropenhelme an die Besatzung ausgab, fuhr auf dem Kongo-Fluss und erlebte eine sehr denkwürdige Äquator-Taufe, bei dem ihm die Besatzung den Schmutz des Nordens von der Haut gewaschen hatte: Eine Menge Erlebnisse, an die er sich gern erinnert.

Schreckliches ereignete sich in den 50er Jahren, als das Schiff bei Klaipèda, einer Hafenstadt in Litauen, bei einem Sturm havarierte. „Als wir vor Memel ankamen, gab es weder Lotsen noch Schlepper.“ Ein Lotse kam erst am nächsten Tag, weite Teile des Schiffes waren vereist. Die Besatzung des Schleppers, der irgendwann auch kam, agierte unglücklich, und die Taue, mit denen das Schiff daran befestigt war, rissen.

„Harte Schläge erschütterten das Schiff, an verschiedenen Stellen im Schiffsboden waren Löcher entstanden und es lief Wasser ins Schiff“, sagt Müller. Schließlich musste der Kapitän die „Hubert Schröder“ aufgeben. Doch die See-Abenteuer des jungen Werner Müller waren noch nicht zu Ende. Er konnte Anfang 1956 auf der „Erich Schröder“ anheuern. „Für 26 Monate, ohne Urlaub war ich wieder im Fahrgebiet Westafrika gelandet.“ Verbunden mit der Seefahrt ist in gewisser Weise auch seine Frau Hannelore: Sie hatte er einst zu einer Verabredung in Emden an Bord des Schiffes erwartet. „Sie traute sich nicht, die steilen Schiffstreppen hinaufzusteigen“, erinnert sich Müller. Zum Glück habe ihr ein Taxifahrer geholfen, die hindernisreiche Höhe zu überwinden. Denn erst in Curacao hätte Müller erneut Gelegenheit gehabt, mit ihr per Post in Kontakt zu kommen. „Es war ja damals nicht möglich zu telefonieren“. Doch das Treffen kam zustande, dem gemeinsamen Lebensglück stand nichts mehr im Wege. Der Liebe wegen hat Müller übrigens später einen Schlussstrich unter die Seefahrt gezogen. Denn seiner Frau gefiel es nicht, dass er ständig unterwegs war und nicht bei ihr zuhause am Deister. Nun lebt Müller seit einigen Jahren in Bennigsen – und kämpft nun nicht mehr gegen hohe Wellen, sondern für weniger Kohlendioxid-Ausstoß.