Was ein Bürgerbusfahrer alles erlebt

Normalerweise ist der Bürgerbus klimatisiert. Aber heute kommt Stephan Rykena hinter dem Steuer mächtig ins Schwitzen. Der Niederflur-Kleinbus sei in der Werkstatt und anders als geplant noch nicht wieder einsatzbereit, erzählt der Fahrer bei einer Außentemperatur von mehr als 35 Grad.

Und der Ersatz hat weder Klimaanlage noch eine automatische Schiebetür an Bord. „Aber die alte Möhre läuft, egal was ist“, lacht der 68-Jährige, der mit dem Neunsitzer vor dem Deisterbahnhof wartet.

Es ist 16.30 Uhr. „Ihr könnt gerne reinkommen, wenn ihr in die Hitze möchtet“, begrüßt er die ersten Gäste. Es sind Stammgäste auf dem Weg in den Feierabend. „Morgen sollen 40 Grad werden“, stöhnt einer. „Was soll ich denn sagen, ich sitz‘ den ganzen Tag in der Hitze, ich verglühe hier auch langsam“, scherzt Rykena. Sechs Minuten später der ersehnte Gegenwind: Der Bus setzt sich ruckelnd in Bewegung und die geöffneten Fenster sorgen für Durchzug. „Der Bürgerbus ist immer pünktlich“, betont der Fahrer. Außer es geschehe etwas Unvorhergesehenes. „Ich fahre seit zwei Jahren mit“, klinkt sich eine Frau aus der zweiten Reihe ein. „Bis jetzt war er immer pünktlich, außer einmal, als das Haus hier gebrannt hat“. Der Bus hat gerade die Bahnunterführung passiert.

Es rumpelt und knarrt, das Hartgeld klimpert und das Radio dudelt leise. Die Geräuschkulisse hat etwas Meditatives, während die KGS und Wohnhäuser an einem vorbeiziehen. Es gebe auch Zugestiegene, erzählt der Bennigser auf dem Fahrersitz, die wollen sich einfach nur die Gegend angucken. „Die nächste möcht‘ ich raus“, ruft jemand von hinten. In dem „Notnagel“, wie Rykena das Ersatzmobil nennt, gibt es keinen Stoppschalter.

Die Hitzewelle spürt auch der Bürgerbus. „Ich werde heute nur auf 40 kommen“, sagt Rykena. Sonst seien es am Nachmittag zwischen 50 und 65 Fahrgäste. „Das hat sich irre entwickelt“, resümiert das Gründungsmitglied des Bürgerbusvereins, das vor drei Jahren zu den Fahrern der ersten Stunde gehörte. Heute ist es Teil einer 28-köpfigen Mannschaft. Jeder einzelne setzt sich ehrenamtlich hinter das Steuer, um den Bereich zwischen Bahnhof und Deisterhang im ÖPNV zu erschließen.

Warum er Bürgerbus fahre? „Allein von den Leuten her macht es unheimlich Spaß, weil die es alle zu schätzen wissen“, erklärt der Ruheständler, der ein- bis zweimal pro Woche den Kleinbus durchs Stadtgebiet steuert. „Man bekommt immer wieder gesagt, dass es vor drei Jahren noch ein Riesenproblem war irgendwohin zu kommen. Ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.“ Und durch den persönlichen Kontakt erlebe er auch viel Kurioses. Erst letztens habe er einen Gast mehrmals mitgenommen – erst mit leeren Händen und dann auf einer späteren Tour samt Schaukelpferd, alter Liege und noch mehr Ausgesondertem vom Sperrmüll, das er einsammelte.

Der Deisterhang ist erreicht. Der Chauffeur nutzt den Halt an der Ziegenbuche mit Panoramaaussicht und notiert, wo wie viele Gäste zugestiegen sind. „Wir führen die Statistik nicht nur, um die Menge der Leute zu haben, sondern auch welche Haltestellen man zum Fahrplanwechsel ersetzen könnte“, erklärt er. Auf diese Weise sei etwa im vergangenen Jahr das Wohngebiet rund um den Birkenweg hinzugekommen.

Nein, außer zu typischen Arbeitszeiten stiegen nicht immer dieselben Gesichter ein. Denn die Patienten in den Kliniken machten einen großen Anteil aus. „Hier stehen die meisten“, sagt der 68-Jährige, als er am Schild „Reha-Klinik“ stoppt. „Wenn man hier um 14 Uhr hält, muss man sehen, ob man alle reinbekommt. Nach den Anwendungen und dem Mittagessen wollen sie alle in die Stadt.“

Am Ausgangspunkt wieder angekommen, hört Rykena das, was aus seiner Sicht heutzutage im regulären Linienverkehr oft untergeht: „Danke“, „Schönen Feierabend“, „Bis nächstes Mal“. Ihren Dank zeigen die Gäste auch, indem sie die Trinkgeldkasse, ein Sparschwein im Gewand eines Busses, „füttern“. Eine Viertelstunde hat der Bürgerbussler Zeit zum Verschnaufen. Dann startet er den Motor zum vierten und letzten Mal an diesen Tag.