Nutze den Tag

VON KATHARINA WEISSLING

Bad Münder. „Es wäre schon schön, wenn Bad Münder etwas mehr leuchten würde“, sagt Margit Brauner. „Das kostet doch nicht die Welt“. Es ist quasi ihre persönliche Botschaft zum Abschied. Denn nach fast zwanzig Jahren in der Innenstadt von Bad Münder schließen die Brauners ihr Geschäft Carpe Diem. Das Ehepaar will seine Tage nun privat ausfüllen, Zuhause ist schon eine neue Katze eingezogen, schnurrt und verbreitet Behaglichkeit.

Das Schaufenster an der Echternstraße leuchtet selbst dann, wenn die Bürgersteige in der Innenstadt längst hochgeklappt sind. Dekoratives, Heilsames, außergewöhnlicher Schmuck: Es sind lauter handverlesene Dinge, die Margit Brauner gemeinsam mit ihrer Kollegin auswählt und verkauft. „Nichts, das ich nicht auch gern zu Hause um mich hätte, kommt in diesen Laden“, sagt Margit Brauner, das sei eine Frage der Ästhetik. Und ihre Finger geraten in Schwung, als sie mit blitzenden Augen verkündet: „Da fröne ich meiner Shoppinglust.“ Vor ihr auf dem Tisch stehen nicht nur Kekse, Weihnachtsdekoration und eine Tasse Tee.

Auch ein Adressbuch der vergangenen 19 Geschäftsjahre hat sie hervorgeholt. Die Buchstaben an der Seitenleiste sind kaum mehr zu erkennen, der Inhalt jedoch gleicht einem Schatz.

So erzählt Margit Brauner von einem begnadeten, ebenso betagten wie bärtigem Schmuckverkäufer, der aussah wie Gandalf persönlich aus dem Herrn der Ringe. „Der kam dann eines Tages mit einer Wolldecke und bat um ein Liegeplätzchen im Laden“. Genächtigt habe er schließlich im Gästezimmer der Brauners. Nicht, ohne vorher Geschichten preisgegeben zu haben. Zum Beispiel von Kundinnen, die ihre Lieblingsstücke einpendelten oder gar den Papagei auf der Schulter über kaufen oder nicht kaufen entscheiden ließen. „Ja das waren lustige Zeiten“, sagt Brauner.

Zwischen Drachen an den Wänden, indischen Gottheiten wie Ganesha, einem blauen Steinelefanten und der Lieblingsfigur ihres Mannes, bemerkt die Einzelhändlerin, dass tatsächlich die Welt in ihrem Laden zu Hause ist. „Dabei ist mein Mann der Weitgereiste von uns beiden“. Sie ist die praktisch veranlagte und der Schöngeist. Aus dem Kopf weiß sie, welche Abbildungen in den einzelnen Ausgaben der Mineralien-Fachzeitschrift Lapis sie berührt haben. Spontan zückt sie eine Ausgabe von 1999, dem Eröffnungsjahr ihres Geschäfts und blättert das Foto einer Indianerin aus New Mexico heraus, auf dem sie eine übergroß dimensionierte Türkis-Kette trägt. „Wunderschön, nicht? So müsste ich mal durch Bad Münder laufen, das wäre doch was“, scherzt sie.

Erst vorige Woche hatten ihr Mann und sie den Sonntagvormittag gemeinsam im „Carpe Diem“ verbracht. „Er hat ausgepackt, ich dekoriert, das werde ich schon vermissen“, sagt sie und geht gerührt eine kurze Runde durch den Laden, wendet sich Kunden zu. Ihrer Mitarbeiterin geht es nicht anders: „Ich werde mir nichts Neues mehr suchen, wenn die Zeit hier zu Ende ist. So etwas ist einmalig und das finde ich nie wieder, diese Herzlichkeit, diese Freundschaft und Großzügigkeit in einem Angestelltenverhältnis“, sagt Joke Dolle.

„Wenn ich 30 Jahre alt wäre, würde ich jetzt einen Internethandel aufbauen“, erklärt Brauner – sie ist allerdings 68. Gefragt nach einer möglichen Nachfolge sagt sie: „Wer will denn heute ein Nachfolger werden? Die Leute haben ihre eigenen Vorstellungen und starten lieber mit einem völlig leeren Ladengeschäft.“ Jemandem, der es in Bad Münder versuchen wolle, wünscht sie viel Kraft und Klarheit, würde ihm oder ihr am besten einen Jaspis und einen Bergkristall in die Hand drücken, die eben diese Eigenschaften verstärken sollen. „Groß müssten die Steine sein“, setzt sie hinzu.

Zuletzt habe sie sich durchaus geärgert darüber, dass die Flächen vor ihrem Geschäft als Parkallee missbraucht würden, der Blick auf die kleine Lichtoase in der Stadt nicht selten von Autos verstellt sei.

„Bad Münder ist eine alte Stadt, die hat etwas lauschiges, etwas, das große Städte nicht haben und das gilt es doch zu pflegen“, sagt sie nachdenklich. „Angefangen vom Laub wegschaffen bis hin zur Beleuchtung der schönen Ecken“, fügt sie hinzu. Sie selbst liebe nicht nur Weihnachten, sondern insbesondere alte Sachen und glaube im Übrigen daran, dass das, was man mit Liebe tue, auch gelinge.

Frohe Rückmeldungen über gelungene Geschenke mitsamt Verpackungen hat sie im Lauf der Jahre zuhauf bekommen. Und umgekehrt halten nicht wenige Münderaner und Kurgäste einen kleinen oder großen Schatz aus eben diesem Laden in Ehren. Hier eine Salzlampe, dort ein Klangspiel oder genau den Stein, der sich zuverlässig immer richtig anfühlt in der Hosentasche.