Mit Campingstuhl für den Glauben

Bevor Pastoren ihr Zweites Theologisches Examen ablegen, gibt es eine Phase, in der sie die Gemeindewirklichkeit kennenlernen: das Vikariat.

Hartmut Günther ist derzeit Vikar in Bad Münder bei Pastor Dietmar Adler. Günther hat nicht den geraden Weg gewählt, der meist nach dem Gymnasium und dem Abitur an die Hochschule führt. Für ihn stand zunächst der Beruf im Hotelfach auf der Wunschliste.

Erst im Laufe seines Lebens wandte er sich der Idee zu, Pastor zu werden. Mit 41 Jahren ist er älter als seine Kommilitoninnen und Kommilitonen im Predigerseminar. Was könnten für ihn nach dem Abschlussexamen Schwerpunkte seiner pfarramtlichen Tätigkeit werden?

„Meine Leidenschaft ist die Diakonie. Hier in der Gemeinde wird viel für arme Menschen angeboten. Diese Herzlichkeit, wie ich von den Menschen angenommen werde, die nichts haben und trotzdem alles noch mit mir teilen und Geschenke mitbringen, das ist unglaublich.“

Vikar Günther widmet ihnen seine Aufmerksamkeit und hat mit manchem schon seelsorgerische Gespräche geführt. Dabei handelt es sich vielfach um Menschen, die Schwellenangst haben, in die Kirche zu gehen, mein Günther. „Ich habe den Eindruck, im Gespräch finden diese Menschen einen leichterer Zugang zu Glaubensfragen als unter der Kanzel. Sie sind dann offen und trauen sich, über ihr Leben zu erzählen.“

Vielleicht sei es so, dass diese Menschen befürchten, dass ein Pastor mit seinen vielen Aufgaben gar keine Zeit habe, sich mit ihren Geschichten abzugeben – während er als Vikar sich diese Zeit nehmen könne, vermutet Günther.

Vor einiger Zeit hat sich Hartmut Günther mit einem Campingstuhl und einem Tisch auf den Marktplatz in Bad Münder gesetzt. Erkennbar war er an seinem Hemd mit Stehkragen als Theologe. „Und dann kamen die Leute und haben sich zu mir gesetzt und haben geredet. Ich habe die Vorstellung, dass wir hingehen müssen zu den Leuten, damit Seelsorge möglich ist. Es langt nicht zu warten, bis sie zu uns kommen.“

Hartmut Günther weiß, dass auf ihn im Pfarramtsalltag auch eine Menge Verwaltungsarbeit zukommt. „Ja, das ist meine ganz große Sorge. Deshalb ist für mich noch nicht ganz klar, wie es für mich in anderthalb Jahren weitergeht. Die Verwaltung in der Amtskirche wird nicht weniger. Ich sehe einen Riesenbedarf an weiteren Stunden für Gemeindesekretärinnen. Sich nur am Sonntag auf die Kanzel zu stellen, Kirchenvorstandssitzungen zu leiten, einen Vortrag in der Woche und Konfirmandenunterricht geben, das ist mir zu wenig.“

Doch Günther liebt die Arbeit mit Konfirmanden und Jugendlichen durchaus, weil er weiß wie wichtig es ist, den Jugendlichen Orientierung zu geben. „Aber mein Konfirmandenunterricht würde ganz anders aussehen als der klassische Unterricht. Ich versuche, aktive Lebenshilfe zu geben. Aber jetzt im Vikariat kann ich das so nicht machen, weil das nicht vorgesehen ist.“

Nach seiner Vorstellung sollte man Theologie erst studieren, wenn man ein bisschen Lebenserfahrung gesammelt hat. „Vielleicht mit 25 Jahren“, sagt Günther, „weil man dann eine ganz andere Sicht auf die Dinge hat.“ Ihm habe seine Spiritualität die Kraft gegeben, noch einmal was ganz anderes anzufangen, weil er ein Berufungserlebnis gehabt habe. Dankbar ist Vikar Günther dafür, dass er in einer Gemeinde Erfahrung sammeln darf, die ökumenisch geprägt ist. Er möchte gern auch künftig die ökumenische Verbindung zu allen christlichen Kirchen pflegen und hat auch keine Berührungsängste in der Begegnung mit Hindus und Buddhisten.

Auch im Islam gebe es bei den Sufi-Mönchen Hinweise auf die Liebe und das Licht, ähnlich wie im Christentum. „Ich bin da sehr offen“, sagt Günther.