Fachwerk zur Entschleunigung

„Andere haben eine Modelleisenbahn, ich habe eine Vorliebe für alte Häuser“, sagt Christian von Bostel. Erst vor wenigen Wochen ist spürbar neues Leben in sein Haus in der Echternstraße 4 gezogen.

Ein neues Ladengeschäft für Bekleidung hat dort eröffnet. „Ich wollte bewusst einen Kontrast schaffen zwischen alt und neu in diesem Ambiente“, sagt Einzelhändlerin Nermina Bothe. Der Weg bis dahin war ein mühevoller.

Über Monate hinweg renovierte sie Seite an Seite mit Eigentümer Christian von Bostel. Keine Wand gerade, niemals vor Überraschungen gefeit. „Seit ich das Haus gekauft habe, hatten wir drei Wasserschäden“, berichtet von Bostel.

Der letzte sorgte ausgerechnet einen Tag nach der fröhlichen Eröffnung mit Sektempfang für Wischkram im Laden. Der erste offenbarte sich durch einen von der Wand plumpsenden Heizkörper, die Ursache des Dritten war ein verstopftes Toilettenrohr. Folglich führte das feine Fachwerk-Hobby mitunter tief in die Patsche. „An dem Tag hätte ich das Ding am liebsten sofort wieder verkauft“, bekennt von Bostel. Andererseits habe er das seiner engagierten Mieterin, mit der er zudem befreundet ist, nicht antun wollen.

Außerdem ist das Haus keineswegs unbewohnt. Von Bostels Mieter im verwinkelten mittleren Stock profitierte sogar vom jüngsten Wasserschaden. Seit seine Küche zur Baustelle mutierte, durfte er eine Etage höher ziehen. Wo er sich dank hoher Decken und anderem Raumschnitt dem Anschein nach umso wohler fühlt. Überhaupt wirkt das Haus trotz seiner zentralen Lage ruhig gelegen. Erstaunlich sind die Zimmer, der Blick über die Straße geht direkt auf eine grüne Baulücke. Die Fachwerkhäuser, die einst dort standen, sind endgültig Geschichte. Durchaus zum Bedauern von Christian von Bostel: „Solche Häuser haben einfach einen ganz eigenen Charme“, sagt er.

Der gelernte Elektrotechniker und studierte Kaufmann schult hauptberuflich angehende Handwerksmeister. Ein Anlageobjekt, von dem er sich große Gewinne verspricht, sieht er in der Münderschen Immobilie keineswegs. „Ma petite Maison Bad Münder“ hat er sie liebevoll auf Facebook getauft und zwischendurch davon geträumt, es an Gäste in der Kurstadt zu vermieten.

Weil das jedoch das Einhalten besonderer Brandschutzauflagen erfordern würde, ist er davon abgerückt. So soll es ihm selbst auf kurz oder lang als Rückzugsort dienen. Als schicke Stadtwohnung der anderen Art sozusagen. Denn Christian von Bostel klopft nicht nur in ausgebeulten Baumwollsachen Fliesen ab. Er liebt es auch in hellen Hosen und feinen Lederschuhen durch die Stadt zu flanieren, zu lesen und sich in Mußestunden ein paar Jahrhunderte zurück zu träumen. Im Studium habe er so viele BWL-Bücher „gefressen“, dass Kommilitonen ihn irgendwann unterstellten, er kenne nichts anderes, erzählt er. Also griff er trotzig zu Goethes Sturm und Drang Werk „Die Leiden des jungen Werthers“.

Der Briefroman sollte ihn auf ungeahnte Weise fesseln. „Ich mag diese Biedermeier-Zeit mit ihrer Idee des Rückzugs ins Private und Idyllische“, sagt von Bostel. So treibt er hier und da Fundstücke wie alte Brautkleider auf und drapiert sie um Schaufensterpuppen herum, richtet hier ein Lese- da ein Prinzessinnenzimmer ein.

Ein alter Schaukelstuhl in der Küchenbaustelle im ersten Stock wartet noch auf Gesellschaft weiterer Möbel mit Geschichte. Ein schweres Biedermeier-Sofa oder gar ein Klavier wird wohl nie die schmale Treppe überwinden, oder durchs Fenster passen. „Sehr wohl aber ein E-Piano“, schaut von Bostel voraus.

Denn wichtiger noch als die Möbel an sich, ist ihm der Lebensstil, denen er sie zuordnet. In seinem Fachwerkhaus in Nettelrede kommt die Küche ohne eigenen Wasserhahn aus. „Das stört mich nicht, ich finde das sogar gut, manche Routinen auf den Kopf zu stellen“, sagt von Bostel. Eine ganz eigene Art der Entschleunigung, die manchen verstehen und zugleich wenige teilen.

Die Tapeten im Haus in der Echternstraße zeugen noch von der Zeit, als eine Modistin dort Hüte vertrieb und hinter dem Laden auf winzigstem Raum lebte. Hinterlassenschaften anderen Zeitzeugen unten wie oben sind bis auf wenige Ausnahmen längst entsorgt.

Und während Christian von Bostel nach und nach Elektrik und weiteres gerade zieht, glänzt das alte Haus aus dem 18 Jahrhundert nicht nur mit erhaltenswerter und zunehmend gepflegter Substanz, sondern vor allem mit Leben innerhalb wie außerhalb seiner Wände ganz zentral in Bad Münders Innenstadt.