Die Schattenseite des Erfolgs

VON KATHARINA WEIßLING

Bad Münder. Aus purer Begeisterung ist der Kinder und Jugendzirkus Bikonelli entstanden. Denn das, was die Teilnehmer des BIK-Zeltlagers im Jahr 2000 unter dem Motto „Manege frei“ einübten und zur Aufführung brachten, machte so viel Freude, dass es zum Anfang einer großen münderschen Erfolgsgeschichte wurde. Inzwischen sind die jährlichen Aufführungen des seit 2009 eigenständig eingetragenen Vereins regelmäßig ausgebucht. Bikonelli ist präsent in Bad Münder und Umgebung, lebensprägend für seine Mitglieder und zugleich ein großer Sehnsuchtsort für viele Kinder, die darauf brennen, selbst mitzumachen.

Die aktiven Mitglieder kommen aus Springe, Hameln und Bad Münder, sind aktuell zwischen 7 und 24 Jahre alt. Doch hier offenbart sich eine Schattenseite des Erfolgs: Auf der Warteliste sind stets um die 30 Namen. Einzelne Familien berichten von der Enttäuschung jahrelanger Wartezeiten. Andere versuchen es gar nicht erst.

„Wir sind ein Familienzirkus und an der Grenze angekommen“, sagt Vereinsvorstand Alena Nötzel dazu. Weder die Räumlichkeiten noch die Organisationsstrukturen ließen Platz für weiteres Wachstum. „Schon eine Choreografie für 60 Teilnehmer zu entwerfen ist eine Herausforderung, so viele Mitglieder terminlich unter einen Hut zu bringen noch viel mehr.“ Gleichzeitig kann sie den Unmut begeisterter Bikonelli-Fans verstehen. Wer einmal Teil der großen Bikonelli-Familie sei, den lasse dies so schnell nicht los. „Hier entstehen Freundschaften fürs Leben, die Gemeinschaft ist einfach einzigartig und wunderbar“, schwärmt Nötzel selbst. Persönlich schrieb die 28-Jährige ihre Bachelor-Arbeit über den hohen Wert von Zirkuspädagogik.

„Die Kinder und Jugendlichen lernen im Zirkus einzuschätzen, was sie gut können und werden von der Gemeinschaft aufgefangen, wenn es mal Niederschläge gibt“, beschreibt Nötzel weiter. Beteiligt an dem Zirkus seien nicht nur die Kinder und Jugendlichen selbst, sondern meistens deren enges Umfeld von Eltern bis hin zu Freunden und Bekannten. „Das ist toll und gewissermaßen setzen wir das auch voraus, weil wir darauf angewiesen sind“, sagt Nötzel. Denn der Zirkus, das sind nicht nur die 13 Gruppen von Akrobatik über Jonglage bis hin zum Vertikaltuch. Auch Kostümschneiderei, Kinderschminken und allerlei Organisatorisches bestimmen das ehrenamtliche Vereinsleben.

Dass der Zirkus so tickt, wie er tickt, bestimmt auch die Art, wie der Vorstand mit der üppigen Warteliste umgeht. Die Sportlichkeit eines Bewerbers sei kein Einstiegskriterium. „Jedes Mitglied ist auf seine Art wertvoll“, betont Nötzel die pädagogische Seite des Zirkus. Das sei der große Unterschied zu professionellen Zirkusschulen weltweit, die im Ruf stehen, Kinder von klein an zu Hochleistungen drillen.

An einem anderen Kritikpunkt habe Bikonelli bereits gearbeitet. „Natürlich ist es so, dass Mitglieder gerne ihre Freunde in den Zirkus nachziehen wollen“, erklärt sie. Doch auch intern verweise der Vorstand inzwischen auf die Warteliste. „Sobald ein Mitglied ausscheidet, meistens nach dem Abitur oder einem anders motivierten Umzug, sichten wir die Warteliste so blind wie möglich“, sagt Nötzel. An der Reihe ist dann, wer schon länger wartet und in die Gruppe passt, erklärt sie weiter. Für manche Disziplinen sei ein gewisses Alter von Vorteil: „Elfjährige haben einfach mehr Kraft und können ihren Körper schon besser einschätzen“, legt sie neben der Freude an der Bewegung auch Sicherheitsaspekte in die Waagschale.

„Bei uns ist Freude das erste Gebot“, sagt Alena Nötzel und erkennt darin ein weitreichendes Erfolgskonzept. „Zirkuspädagogik erlebt gerade große Anerkennung und einen regelrechten Boom auch an Schulen, weil es hier darum geht, aus Spaß an der Freude zu lernen und sich ganz ohne Zwang weiterzuentwickeln“, holt sie aus. Damit es dennoch rund laufe in der Manege, seien aber auch Disziplin und Durchhaltevermögen nötig. Auch darum liege die Altersgrenze nach unten inzwischen beim Grundschulalter.

Nach oben hin gibt es keine offizielle Begrenzung. „Das regelt sich von selbst“, sagt Nötzel und lacht beim Gedanken daran, dass manche inzwischen Berufe ergriffen haben, die dem Zirkus zugutekommen. Ein Lichttechniker zum Beispiel.

Kinder, die ihr Glück versuchen wollen, rät Alena Nötzel, nach Möglichkeit das Sommerferienprogramm in Bad Münder zu nutzen. Einfach, um für sich selbst herauszufinden, ob das Zirkusvirus in ihrem Fall von Dauer ist.

Für alle gilt die Empfehlung: Bei Interesse an vorstand@bikonelli.com eine Mail schreiben. Sobald sich eine Lücke auftut, geht es schnell: Probetraining und dann flop oder top, vielleicht ein Leben lang. Bis dahin heißt es Geduld proben.