Was ist eigentlich gerecht?

„Mir geht es gut. Ich habe zu essen, eine Wohnung, lebe im Frieden. Millionen Menschen hungern, flüchten vor Krieg und Tod. Ist das gerecht?“ Was ist eigentlich Gerechtigkeit, was Ungerechtigkeit?

So lautete das Thema des vorletzten Hermannshofer Pavillongesprächs, das diesmal vorm wohligen Kamin im sturmumtosten „Haus im Park“ stattfand. Einen Tag lang hatten Attac-Aktivist Thomas Dürmeier aus Hamburg, die Schauspielerin und künstlerische Leiterin des Glocksee-Theaters aus Hannover, Lena Kußmann, und die Krankenhaus-Seelsorgerin Heike Steinhof-Eggen das Thema erarbeitet. Am Abend stellte das Trio unter der Leitung des hannoverschen Schriftstellers Jost Merscher seine Gedanken zur Diskussion. Im Jahr der russischen Oktoberrevolution, 1917, sei auch der Hermannshofer Tee-Pavillon entstanden, so Eckhart Liss, und so suche man hier - wie das Epochenereignis - eine „tätige Antwort auf Fragen der politischen, sozialen und ökonomischen Ungerechtigkeiten.“ Die Antworten der bewusst offen und ergebnislos gehaltenen Diskussion waren facettenreich: hier der kämpferische Attac-Aktivist, der vehement gegen neoliberalen Marktfundamentalismus Front machte, UN, EU und Bundesregierung zum Handeln gegen die gefährlichen Auswirkungen globaler Ungerechtigkeiten aufrief und im Nachgang zu den Protesten beim Hamburger G 20-Gipfel feststellte: „Eine andere Welt ist möglich!“

Ihm zur Seite die bedächtige Krankenhaus Seelsorgerin Heike Steinhof-Eggen, die mit dem Gleichnis der Arbeiter im Weinberg die Diskussion heftig entfachte. „Ich hoffe, dass Gott gerecht ist. Es ist nicht einfach, radikal zu sein. Das ist eine ständige Herausforderung und auch ich hab´s gerne gemütlich.“

Gerecht sei nicht die Bewertung nach Leistung, sondern müsse am Dasein gemessen werden, Gerechtigkeit habe nicht mit Gleichmacherei zu tun, so Eckhart Liss. „Wenn du dich vergleichst, hast du schon verloren“, pflichtete ihm Steinhof- Eggen bei.

Bewusstsein für Gerechtigkeitsdefizite schaffen, das wolle auch ihre Kunst, so Lena Kußmann, die Poesie und Politik mit ihrem „wundersamen Aktionbündnis der Tante Trottoir“ unter die Leute bringt.

Kußmann nahm vor allem die „emotionale Hysterie der Berichterstattung“ aufs Korn und plädierte dafür, „den Menschen Utopien zu eröffnen“. „Es gibt auch schöne Dinge“, so die Schauspielerin. „Kann in dem abgestellten Koffer im Bahnhof nicht auch was Schönes sein?“

Gerechtigkeit, ein Thema, das, ob nun global oder sehr persönlich betrachtet, aufregt. So war die Diskussion mit und im Publikum anhaltend und lebhaft. „Die ganze Welt kann nicht auf unserem Niveau leben“, „es geht um Maß und Partizipation“, „wenn man älter wird, sieht man das gelassener“, so einige der Beiträge. „Und was ist mit dem bedingungslosen Grundeinkommen?“, wollte ein Zuhörer wissen. Noch lange nach Veranstaltungsende wurde beim Buffet in Grüppchen heftig diskutiert. „Genau das war die Absicht. Mehr wollten wir nicht“, freute sich Moderator Jost Merscher. Im November enden die diesjährigen Pavillongespräche mit einer Veranstaltung zum Thema „Wahrheit und Irrtum“.